Als Zahnarzt bin ich Spezialist für Zahnersatz. Und habe das große Vergnügen, normalerweise großen Zahnersatz mit einem sehr guten Dentallabor machen zu dürfen. Es sei denn, der Patient wünscht, nachdem ich ihn beraten habe, die Beauftragung eines anderen Labors. Das kann persönliche Gründe haben oder, wie in dem Fall, von dem ich nun erzählen will, Kostengründe.

In den Fall, um den es geht, brauchen wir herausnehmbaren Ersatz für den Seitenzahnbereich des Unterkiefers, gehalten – für Fachleute- von drei Teleskopkronen auf den Eckzähnen und einem Prämolaren. Das ganze in Edelstahl, einem Material, das wegen seiner Härte schwer zu verarbeiten ist, das aber, gut verarbeitet, im Mund wie Edelmetall funktionieren kann. Zunächst spart der Patient mit der Entscheidung für Billigzahnersatz viel Geld, etwa 40% gegenüber dem, was er für die Arbeit mit meinem Labor gezahlt hätte. Das ist viel und am Ende werden wir alle etwas draufgelegt haben…

Die Abläufe während der Behandlung sind für mich zunächst gleich. In der ersten Sitzung nach den Vorbehandlungen präpariere ich die Zähne, nehme einen Abdruck, einen Biß, mache Provisorien, messe die Farbe etc… und gebe Abdruck, Biß und Modell mit Fotos an den Zahntechniker.

Der macht die Primärkronen und einen Abdrucklöffel, damit wir in der zweiten Sitzung die Kronen anprobieren und darüber einen Abdruck der unbezahnten Abschnitte nehmen können.

Hier trennen sich bereits die Wege zwischen den Zahntechnikern. Die Kronen aus meinem Labor sind präzise, grazil und schön, der individuelle Abdrucklöffel ist sorgfältig gestaltet und fühlt sich wie ein solider Handschmeichler an – es macht Spaß, mit solchen Teilen zu arbeiten.

Die Arbeit aus dem anderen Labor kommt in einem kleinen Koffer voller Gipskrümel, die Modelle sind nicht sauber und die Kronen sehen aus wie etwas, das spitz gesagt, an Bleigießen zu Silvester erinnert und der Abdrucklöffel ist aus einem dünnen, unangenehmen Material. Dabei liegt eine Bißnahme, die mich in dieser Phase der Behandlung noch gar nicht interessiert.

Im Mund wackeln die Kronen leicht auf den Zahnstümpfen, was sich aber für den Abdruck fixieren, der Abdrucklöffel ist in diesem Fall ok und nach dem  Abdruck sehen wir, daß die Kronen einen ungewohnt großen Randspalt haben werden (in der Wissenschaft gelten 200µm als akzeptabel, mit meinem Labor und NEM erreiche ich normalerweise 70µm, hier werden es etwa die 200 sein). Die Bißnahme verwende ich auch.

Das Streben nach Perfektion ist eine Haltung, deren Ziel nicht Perfektion ist, sondern Zufriedenheit mit dem Erreichten.

Normalerweise probieren wir im nächsten Schritt, etwa zehn Tage später, den Metallkern des herausnehmbaren Teils an und bestimmen damit den Biß.

Hier kommt am nächsten Tag der Zahntechniker, holt seinen Kram ab und will die Arbeit gleich fertigstellen. Ich muß ihm sagen, daß ich das nicht will, denn ich habe gelernt, daß es bei guter Prothetik keine Abkürzungen gibt. Das Kauorgan verzeiht das nicht. Und ich will die Kontrolle behalten, indem ich Einproben mache.

Also trotze ich ihm die Anprobe ab und wundere mich über die lange Lieferzeit. En passant erfahre ich, daß er nicht in Bielefeld fertigt, sondern in einem Land, dessen Menschen ich zwar schätze, in dem ich aber *vorsicht: Arroganz* nicht Urlaub machen möchte, weil es mir da für mich an Lebensqualität mangelt.

Da das nicht verboten ist, sondern Ausdruck der Globalisierung mache ich mit. Widerwillig. Wissend, daß dem Patienten die Entscheidung der Laborwahl obliegt.

Und verspreche mir, daß wenn die Einprobe nicht perfekt ist, wie ich es gelernt habe, dann mache ich dem Zahntechniker die Hölle heiß.

Am Ende wird die Arbeit irgendwie passen. Ob sie halten wird, weiß ich nicht. Meine Schritte werde ich so machen wie mit den guten Arbeiten – es wird die Zahntechnik sein. Ihr vertraue ich nicht. Ich hoffe, daß der Patient zufrieden sein wird, doch werde ich mehr Zeit brauchen, um die Arbeit einzupassen.

Wir werden mehr nachbessern müssen.

Zahlen müssen wir alle dafür: die Zahntechniker, die mit dieser Arbeit nicht zufrieden sein können, weil sie lieblos gemacht ist.

Unsere Gesellschaft, weil uns Arbeit verlorengeht.

Der Patient, weil er nicht den Komfort bekommen wird, den er erwartet und nicht die Dauerhaftigkeit, die er wünscht.

Ich muß aufpassen, daß das nicht meinem Ruf schadet, denn der Zahntechniker bleibt unsichtbar für den Patienten im Hintergrund. Verantwortlich für die Arbeit bin ich und aus meinen Händen stammt sie.

Keiner kann sich billigen Zahnersatz leisten.

Dieses eine Mal mache ich es. Die Menschen, die damit oft zu tun haben, Patienten, Zahnärzte, Zahntechniker, haben alle Besseres verdient als dieses grobe, lieblos zusammengehauene Zeug, das als Medizinprodukt durchgeht.

Natürlich kostet das Geld. Am Ende wird guter Zahnersatz sich lohnen, denn er kostet eben nur Geld und nicht Gesundheit, Nerven und Zeit- die wahren Luxusgüter.

 

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